Wir schauen hinter die Kulissen der virtuellen Produktfotografie. Virtuell deshalb, weil alle Produktbilder aus 3D-Modellen und Photonen-Simulationen gerendert werden, anstatt das Produkt mit dem Fotoapparat abzulichten. Die sich hieraus ergebenden Vorteile beschreiben wir anhand von 16 Abbildungen.
Arten der Produktfotografie
Generell unterscheiden wir zwischen funktionaler und emotionaler Produktfotografie. Während die funktionale oft in Produktdetailseiten von Webshops Verwendung findet, wird die emotionale Darstellung von Produkten in Broschüren, auf Kategorieseiten oder informierenden Produktlandingpages genutzt. Erstere soll das Produkt möglichst neutral und objektiv darstellen, während letztere Produkteigenschaften und den Nutzen transportieren soll.
Funktionale Visualisierung
Die funktionale Visualisierung ersetzt das „in-die-Hand-nehmen“, was in lokalen Läden haptisch durchführbar, aber online nicht möglich ist. Alle Details des Produktes müssen stattdessen visuell inspiziert werden (siehe Close-Up Bild 1).
Beim Aufbau des Foto-Shootings nutzen wir ein schlagschatten-freies, sanftes Licht, um alle Produktbestandteile gleichmäßig auszuleuchten (siehe Bild 2). Der Hintergrund ist unaufgeregt, meist weiß mit sehr geringer Zeichnung so dass das Produkt mit seinen Details kontrastreich hervortreten kann und die Fotografie sich gut in die meist weißen Weblayouts unserer Kunden einfügt.
Abgelichtet wird das Produkt frontal (Bild 3), seitlich und mit schrägen Ansichten, um die Proportionen und Maße des Produktes ungefiltert zu übermitteln. Obwohl in der virtuellen Produktfotografie die Ablichtung ohne perspektivische Verzerrung möglich wäre, wird davon eigentlich nicht gebraucht gemacht, weil es den Sehgewohnheiten des Menschen widerspricht (der Mensch ist die perspektivische Verzerrung mit Fluchtpunkten gewöhnt).
Emotionale Visualisierung
In der Nahaufnahme (auch genannt Closeup) wird die Gesamtübersicht bewusst aufgegeben. Dafür werden stoffliche Details des Produktes fast wie mit dem Mikroskop betrachtbar. Oft werden die Closeups als Zoom-Abbildungen bereitgestellt, um nahezu einzelne Poren des Materials berühren zu können (siehe 4k-Zoom-Ausführung von Bild 1) . Das Auge des Kunden kann mit Hilfe des Kamerafokus auf bestimmte Details gelenkt werden (in der Zoom-Ausführung von Bild 1 liegt der Fokus auf der rechten Sitzbacke). Die lokale Tiefenschärfe wirkt außerdem sehr ästhetisch, da es der Funktion des menschlichen Auges sehr nahe kommt.
Das Produkt wird auch gerne in einem realem Umfeld abgelichtet, um zu demonstrieren, wie es sich in ein Ensemble einfügen könnte (siehe Bild 5). Bedienungsbeispiele und „Serviervorschläge“ (z.B. die Austattung mit Accesoires im IKEA-Katalog) lassen so das Produkt sympathisch und nahbar erscheinen. Der Kunde soll inspiriert und für das Produkt begeistert werden. Durch geschickte Visualisierung und grafische Kompositionen können außerdem nützliche Produkteigenschaften (z.B. hier die Anpassung der Sitz- und Lehnflächen zur Entlastung der Rücken- und Gesäßmuskulatur) visuell kommuniziert werden (siehe Bild 6).
On-Set Shooting
Der Set-Aufbau beim Fotoshooting besteht aus Lampen für die Lichterzeugung, einer oder mehreren Kameras, verschiedenen Hintergründen und natürlich dem Star: dem Produkt (siehe Bild 7).
Das Hauptlicht (Main-Light) beleuchtet das Produkt möglichst frontal mit leichter Eindrehung zur Kamera, damit das Licht leicht variiert und facettenreicher auf das Produkt trifft. Um den Schatten des Hauptlichts aufzuhellen, werden ein oder mehrere Füll-Lichter (Fill-Light) eingesetzt, die so positioniert werden, dass sie die verschatteten Stellen gut erreichen können. Damit die Kontur des Produkts gut sichtbar ist, wird ein Streiflicht (Rim-Light, Bild 8) auf der anderen Seite gegenüber dem Hauptlicht aufgestellt, hierdurch kommen die Umrisse besser zur Geltung.
Sollen weiche Schatten und eine gleichmäßige Ausleuchtung erreicht werden, kommt noch ein Diffusor-Schirm zum Einsatz dessen Zweck darin besteht, die Fläche des aussendenden Lichts zu erhöhen.
Für den Hintergrund verwenden wir eine Hohlkehle (Infinity Cove) entweder wie im Bild 7 gezeigt als aufgehängtes weißes Laken ein reales Hintergrundfoto für den emotionalen Shot, in welches das Produkt-Rendering dann eingefügt wird. Für diese Komposition wird benötigt:
- eine HDRI-Sphäre, d.h. eine Kugel, die eine reale Umgebung fotografisch abbildet und als kugelige Lichtquelle verwendet wird zur Abgabe des Lichts nach innen (siehe Bild 11)
- eine Backplate, die direkt hinter das Produktbild eingebracht wird und einen Hintergrund bereitstellt (den wir selbst nicht mitrendern müssen)
- eine zweite Backplate, welche den Boden der HDRI-Späre wiedergibt, damit sich dieser in den bodennahen Oberflächen des Produktes spiegeln können
- ein Shadow-Catcher, der den Schatten des Produkts auffängt
die Motiv-Backplate (Bild 9) die Boden-Backplate (Bild 10) Die HDRI-Sphäre eines realen Ortes liegt als Kugel vor und wurde zur Veranschaulichung abgewickelt (Bild 11)
Alle oben genannten Einzelteile werden beim Finish zusammengeführt.
Das Finish
Das Produktbild wird in mehreren Schichten (genannt Passes) unterteilt:
- Shadow Pass mit Schatten und simulierter Himmelsaufhellung
- Glossy- und Diffuse Pass für glänzende und nicht glänzende Materialien des Produktes
- Depth-Map speichert die Tiefeninfos des Bildes (wie weit ist jeder Pixel von der Kamera entwfernt)
- Alpha-Map speichert transparente Bestandteile des Bildes
- Passes für die Rauschentfernung bei der Photonsimulation
- Objekt- und Materialmasken zur selektiven Nachbearbeitung von Einzelteilen (siehe Bild 16 rechts)
- Backplates mit Fotoaufnahmen
Schatten-Pass (Bild 12) Gloss-Pass (Bild 13) Tiefen-Pass (Bild 14) Alpha-Pass (Bild 15)
All diese Passes (gelbe, graue und blaue Punkte links im Bild 16 links) werden miteinander verrechnet über eine Node-basierte, optische Programmiersprache. Die abgerundeten Rechtecke sind Node-Operatoren, die Spaghetti-artigen Verbindungen leiten die Berechnungsergebnisse des einen Knoten zum nächsten weiter. Am Ende des letzten Spaghetti befindet sich dann unsere erzeugte Produtfotografie mit den einkomponierten Bestandtteilen.
Die Programmierung des Compositing (Bild 16)
Vorteile der virtuellen Produktfotografie
Meist ist nicht der erste „Kameraschuß“ schon der beste, so dass durch kleine Variationen der obigen Einstellungen die vom Produkt angebotene Materialität iterativ ausgereizt werden muss, um das visuell best mögliche Ergebnis zu erzielen. Vorteilhaft für das Iterieren ist, dass wir alle Fotostudio-Einstellungen und Produktoberflächen mathematisch genau beschreiben und digital unversehrt speichern können. So haben wir niemals ein Problem mit zu kalten oder zu heißen Lampen, oder dass sich die Sonne gerade hinter Wolken versteckt. Außerdem können wir die geltenden physikalischen Gesetze hier und da außer Acht lassen, wenn sich dadurch ein besonders reizvolles Foto entwickeln lässt. Ganz nebenbei fallen lange Flugreisen und hohe Studio-Mieten weg, was das Budget unserer Kunden schont.